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Beitrag vom 05.11.2018
Liraz – Naz
Ina Rosenthal
Das neue Album von Liraz ("Liraz Charhi" und "Rak Lekha Mutar"/"Only You´re Allowed") ist zu Teilen eine Femmage an die persische Pop-Musik der 70er und doch ein gutes Stück Musik unserer Zeit. Geschickt versteht es die israelische Musikerin, Tänzerin und Schauspielerin, deren Familie kurz vor Ausbruch der Iranischen Revolution nach Israel immigrierte, ihren eigenen Stil und ihre Geschichten in die Sounds zu verbinden und bietet damit ein musikalisches Vergnügen der leichten Art, durchaus mit hintergründigen Botschaften.
Modern Beats und traditionelle Wurzeln
Leichtfüßig rhythmisch und erst einmal gefällig kommt das zweite Album von Liraz daher, zu hören sind moderne Sounds und Beats die gekonnt verstrickt mit der Musik ihrer persischen Wurzeln sind. Diese Leichtfüßigkeit lässt uns Zuhörer*innen erst einmal in dem Glauben, dass es sich um nichts anderes als ein neues, vielleicht hin und wieder etwas hell erklingendes, Album handelt.
Der Eindruck täuscht, denn bei näherer Betrachtung gewinnen die Songs und die Stimme Liraz´ an Dynamik und Tiefe. Dies ist nicht allein den Texten geschuldet, die die Rolle der Frauen hinterfragen und kritisch betrachten. So auch in dem Song "Nozi Nozi", in dem sie sich über das Konzept des "noz" lustig macht. Dieses spielt auf einen iranischen Archetypus der immer freundlich lächelnden Ehefrau an, die ihren Ehemann auf subtile Weise nach ihrer Nase tanzen lassen möchte. Auch die Musik reflektiert die kulturellen Referenzpunkte dieser Geschichte: ein immer wiederholter Streicherrefrain, der sich im Verbund mit Liraz´ Stimme immer intensiver hochschraubt, wird durch einen spartanischen doch intensiven Beat in ein neues Licht gerückt. "Naz" führt die Hörer*Innen auf eine musikalische Reise von Teheran über Tel Aviv zur LA Beats-Szene.
Vor allem aber will die Künstlerin in ihrem neuen Album die "verlorenen Stimmen des Iran" verkörpern. Stimmen, die im Heimatland ihrer Eltern seit der Iranischen Revolution nicht mehr öffentlich vor einem gemischt-geschlechtlichen oder rein männlichen Publikum auftreten durften. So verschmelzen in dem Album 1970er Sounds aus dem Iran, über die Liraz in einem Interview mit Haaretz sagte, sie wären "characterized by resistance to traditional music and a desire to find a universal sound".
Arrangiert und auch produziert wurden die Beats und die Electronica-Elemente des Albums von Rejoicer, einer bekannten Größe der zeitgenössischen Tel Aviver Musikszene und Gründer des Labels "Raw Tapes".
Liraz Charhi
Die auch international als Schauspielerin und Tänzerin bekannte Musikerin wurde am 31. Mai 1978 in Ramla, Israel geboren. Ihre Familie emigrierte kurz vor Ausbruch der Iranischen Revolution, bewahrte sich aber die Traditionen ihres Heimatlandes. Sie wuchs zweisprachig in Hebräisch, der Sprache ihres Heimatlandes, und Farsi, der Muttersprache ihrer Eltern, auf. Innerhalb der persischen Community, in der ihre Familie lebte, waren schmerzhafte Erinnerungen an das Land immer präsent, denn allen war bewusst, dass es kein Zurück in diese Heimat gab.
Aber gerade dieses Gefühl des Verlustes weckte Liraz´, mit dem Alter zunehmendes, immenses Interesse an ihren eigenen kulturellen Wurzeln.
Bei ihren zahlreichen Arbeitsaufenthalten in Los Angeles, welches auch durch seine große, mehr als 700.000 Menschen zählende persische Community als "Tehrangeles" bekannt ist, lernte sie während der Dreharbeiten zu Filmen wie A Late Quartet (Saiten des Lebens) neben Philip Seymour Hoffman oder Fair Game neben Naomi Watts auch die Musik und Geschichte(n) von iranischen Sängern und Sängerinnen aus den 70er Jahren kennen. Besonders beindruckt und inspiriert hat sie die legendäre Sängerin Googoosh. Sie zählt auch heute noch zu den populärsten Musikerinnen des Iran. Nach der Iranischen Revolution 1979 durfte sie jedoch nur noch vor einem rein weiblichen Publikum auftreten und verließ den Iran, um ihre Karriere weiter verfolgen zu können.
Die Geschichte von Googoosh und anderen Sängerinnen, die vor der Revolution 1979 ein ganz anderes, von künstlerischer Freiheit bestimmtes Leben führen konnten, inspirierte Liraz dazu, über ihre eigenen Wurzeln neu nachzudenken. Über ihre Herkunft sagte sie in einem Interview mit Haaretz: "I grew up with heavy baggage. Iranian on my mother and father´s side. Like it or not, the fight for women´s freedom of expression is in my DNA. Everything I do in life is connected to the ban on women´s singing."
In Israel erschien das Album "Naz" bereits 2016 und hat dort schnell eine große Fangemeinde erreicht. Im Iran ist es offiziell nicht erhältlich. Und doch hat die Künstlerin so über die Musik einen Weg zu dem Land ihrer Wurzeln erreicht, das sie persönlich nicht bereisen kann. Übrigens ist es auch auf Vinyl erschienen.
2019 wird Liraz Charhi in Europa auf Tournee gehen und selbstverständlich hat sie die Hoffnung, eines Tages doch live im Iran zu singen.
AVIVA-Tipp: Ein gut hörbares Album mit inhaltlichem Tiefgang, das Spaß macht und gerne auch ein zweites oder drittes Mal angehört werden kann. Es ist sowohl partytauglich als auch eine gute Begleiter*in für unterwegs, problemlos schmiegt sich der Sound auch über Kopfhörer an das Ohr. Wer ein Herz für den Pop Sound der 70er aus dem persischen Raum hat, wird nicht enttäuscht. Ich persönlich hätte mir bei dem Abmischen etwas mehr Bass und Raum gewünscht, historisch ist der helle Klang aber stilecht.
Aktuelle Informationen zur Künstlerin unter:
www.lirazmusic.com
www.facebook.com/LirazOfficial
www.imdb.com
Das Video zur ersten Single "Nozi Nozi": www.youtube.com
Liraz
Naz
Label: Dead Sea Recordings im Vertrieb von Indigo
VÖ: 19.10.2018
Formate: LP / CD / digital
Katalognummer: DSR002
EAN CD: 4015698018486
EAN LP: 4015698018554
Labelcode: 13406